Radsport: Holzsplitter bremsen Feuereifer

Holzsplitter bremsen Feuereifer

Radsport: Zwischen zwei internationalen Großereignissen schreibt Alessa-Catriona Pröpster Prüfungsarbeiten. Na und? Die Bahnradsprinterin absolviert ihr straffes Programm mit großem Ehrgeiz und steckt dabei auch einen Sturz und seine Folgen mit einem Lächeln weg.

KIENBAUM. Alessa ist ganz schön tough. Also robust, zäh, unverwüstlich oder wie immer man das übersetzen will. Man muss sich das mal vorstellen: Kommenden Mittwoch fährt sie bei den Bahnrad-Weltmeisterschaften in Roubaix den Teamsprint der Frauen, schreibt dann am Donnerstag und am Freitag zwei Arbeiten im gerade begonnenen zweiten Ausbildungsjahr bei der Bundespolizei, fährt sonntags das WM-Keirinrennen und schreibt montags und dienstags die nächsten beiden Arbeiten. Und auch das steht für die toughe junge Frau: Vergangenen Sonntag stürzte sie im Keirin-Halbfinale in Grenchen schwer, „abgelegt“ nennt sie das, zog sich schmerzhafte Hautabschürfungen zu. Im Oberschenkel und im Rücken steckten ein paar Holzsplitter, einer musste mit einem kleinen Schnitt geholt werden, was eine halbe Stunde dauerte – dann war sie „wieder holzfrei“ und wollte weiterfahren. Eine Ärztin legte aber ihr Veto ein, was gut war. „Eigentlich stecke ich so etwas ganz gut weg. Aber ich realisiere erst jetzt so langsam, warum und wie ich stürzte. Ich hab’ mir das Video vielleicht 20 Mal angeschaut. Nun ist halt das Sitzen und das Lernen unangenehm, aber was soll’s“, gesteht sie. Gestern ging sie in den Kraftraum, heute sitzt sie das erste Mal seit dem Sturz wieder auf dem Rad, am Samstag fliegt die deutsche Mannschaft nach Frankreich. Volles Programm also für Alessa-Catriona Pröpster, die nahe der Burg Hohenzollern bei Tübingen aufwuchs, ihr Abitur im vorigen Jahr am Heinrich-Heine-Gymnasium in Kaiserslautern machte, unter Frank Ziegler im Bahnteam Rheinland-Pfalz als Juniorin Welt- und Europameisterin erfolgreich war und nun beim RV Offenbach landete. Aber genau so wollte und will sie es: erst die U23-EM im August in Apeldoorn mit drei Bronzemedaillen, dann die Starts bei den Europameisterschaften in Grenchen und den Weltmeisterschaften in Roubaix – ihre Premiere bei den Großen, also in der Eliteklasse. Dort sind nach dem schweren Unfall von Kristina Vogel und dem Rücktritt von Miriam Welte deren Nachfolgerinnen Lea Sophie Friedrich (21), Pauline Grabosch (23) und Emma Hinze (24) längst angekommen. Das Trio holte bei den letzten Weltmeisterschaften im Februar 2020 in Berlin den Teamsprint-Titel. Weil Emma Hinze nach den Spielen in Tokio etwas länger pausierte, durfte Alessa-Catriona Pröpster vor einer Woche in Grenchen einspringen. Mit Friedrich und Grabosch gewann sie EM-Silber, was sie und die anderen nicht wirklich erwartet hatten. Gerade weil Pröpster im Halbfinale sehr stark fuhr, erreichten sie mit dem Sieg über Russland das Finale, in dem sie gegen die Niederlande verloren. „Das Halbfinale war quasi unser Finale. Wir haben das alles sehr gut gemacht, aber es kostete mich auf Position drei schon sehr viel Kraft“, gesteht sie. In Roubaix wird sie voraussichtlich nur in der Qualifikation eingesetzt, was für sie eine nachvollziehbare Lösung ist. „Lea, Pauline und Emma sind schon sehr stark. Wenn ich eine von den dreien durch meinen Einsatz in der Qualifikation schonen kann, ist das ja in Ordnung“, sagt sie. Die EM in Grenchen wertet sie für sich als großen Erfolg – trotz des Sturzes im Keirinrennen. Im 500-Meter-Zeitfahren bekam sie ihren dritten Einsatz, landete auf Platz sieben, der durch ihre Zeit sehr aufgewertet wird: In 34,28 Sekunden fuhr Alessa Pröpster persönliche Bestzeit. „Ich war da überrascht. Ich hatte keinen Druck gespürt, wollte unter die besten Acht kommen, das ist mir gelungen. Insofern muss ich mit den Europameisterschaften total happy sein.“ Das erste große Saisonziel also hat die Radsprinterin aus Jungingen zu ihrer Zufriedenheit gemeistert, auch wenn sie müde und verletzt nach Kienbaum zurückkam, wo sie wegen ihrer Ausbildung derzeit lebt. Sie beißt sich voller Energie durch Schule, Beruf und Sport. Viele Fehltage darf sie nicht haben, sonst müsste sie das Ausbildungsjahr wiederholen. Aber sie liegt ja voll im Plan, Sonntag in einer Woche endet für sie eine lange Saison. – mit dem WM-Keirinrennen in Roubaix. Es ist ihre mit Abstand liebste Disziplin. Diese Lust und Liebe haben auch die Holzsplitter von Grenchen nicht schmälern können.

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