Karate: Hingehen und gewinnen

16.06.2021

Mein Anspruch ist hingehen und gewinnen“

Auf dem Weg nach Tokio: Den 7. August 2021 nennt Jonathan Horne den „Tag der Tage“. Dann kämpft der 32 Jahre alte Kaiserslauterer im Budokan von Tokio um Olympiagold. Der Karate-Welt- und Europameister, der als kleiner Junge von Bruce Lee und Jackie Chan fasziniert war, fliegt ohne Selbstzweifel als Favorit nach Japan.

KAISERSLAUTERN. Zum kleinen Sportstudio des Teykio Teams in Kaiserslautern führt eine rot gestrichene Steintreppe hinauf. Das Dojo, so heißt der Ort, an dem Kampfkünste gelehrt und geübt werden, liegt im ersten Obergeschoss in einem unscheinbaren Hinterhof mitten in der Stadt. Es ist so etwas wie die zweite Heimat des Welt- und Europameisters sowie seines Trainers: Jonathan Horne (32), ein großer, schlanker Athlet und Uwe Schwehm (59), ein ruhiger, besonnener Coach, arbeiten seit 23 Jahren zusammen. „Er ist mir damals nachgelaufen“, sagte Horne vor sich hin grinsend, und Schwehm antwortet: „Ja, ich habe ihn von kleinauf begleitet“. Aber jetzt, am „Tag der Tage“, am 7. August, wird er ihn nicht begleiten können. Aus finanziellen und aus logistischen Gründen und weil eben das Coronavirus grassiert. Schwehm bleibt in Kaiserslautern, Horne kämpft fernab der Heimat um einen ganz besonderen Titel. Olympiasieger will er werden. „Dabei sein ist für mich nicht alles. Wenn ich zu einem Turnier gehe, ist mein Anspruch hingehen und gewinnen. Ich weiß um meine Chance“, sagt er sehr selbstbewusst. Karate ist zum ersten Mal olympisch und wird es so schnell nicht wieder sein. „Das ist sehr besonders. Ein Hammer“. Hornes große Augen strahlen. Und dann noch im Budokan, diesem Tempel der Kampfkunstlehre. Er wäre garantiert ausverkauft. Wäre … Karate sei sein Leben, sagt Jonathan Horne: „Ich liebe es und lebe es. Dementsprechend verhalte ich mich. Der Weg ist entscheidend. Wie du ihn bestreitest.“ Respekt, Disziplin, Wertschätzung, Gleichberechtigung – Werte des Karate, die Horne auf seinem Weg umzusetzen versucht. „Ich kann auch nur das bekommen, was ich zeige“, hat er in all den Jahren gelernt. Uwe Schwehm springt ihm zur Seite. „Ich sage unseren Sportlern immer: Was ihr im Spiegel seht, ist das, was ihr zeigt.“ Werte von kleinauf lernen und vermitteln, das steckt in diesem waffenlosen Kampfsport, der Selbstbeherrschung und höchste Konzentration fordert. Verletzungen des Gegners sind ausgeschlossen. Leider kommen in dieser so anstrengenden Pandemiezeit von den 85 Kindern, die den Weltmeister als Vorbild haben, nicht mehr alle ins Training. Ob „Jonny“ ihn in Tokio vermissen wird? „Jein“, sagt Uwe Schwehm. „Ich brauche nur einen kurzen Punkt anzusprechen, dann hört er nur meine Stimme“, beschreibt der Trainer das Vertrauensverhältnis zwischen beiden in einem Wettkampf. Nun lässt er sich gezwungenermaßen von Bundestrainer Thomas Nitschmann vertreten, „das passt schon alles“, sagt Schwehm mit Wehmut in der Stimme. Vier Mal die Woche geben die beiden im Hinterhof-Dojo gemeinsam alles für den Erfolg. Sein Krafttraining und die Physio bei Alexandra Welte erledigt Horne am Heinrich-Heine-Gymnasium. „Körperlich fit sein, so dass ich punktgenau sagen kann: Heute kann ich die bestmögliche Leistung abrufen“, dafür arbeitet er mit Schwehm, der auch Trainingspartner ist. „Ich hätte schon gerne mal einen, mit dem ich mich ordentlich boxen könnte“, sagt Jonny lächelnd. Zehn Prozent werden Tagesform an diesem „Tag der Tage“ sein, denkt er. Im Budokan werden sich in zwei Pools je fünf Athleten auf den Weg zur Goldmedaille machen. Vier Vorrundenkämpfe, die Halbfinals über Kreuz, dann der sechste Kampf, das Finale. „Derjenige, der am meisten will, der sich am besten auf seinen Gegner einstellen kann und mit dem System klarkommt, der macht das Ding“. Vor einiger Zeit hatten Jonny und seine Frau Anna geplant, dass ihr erstes Kind nach dem Medaillengewinn geboren wird. Erst kam die Olympiaabsage und dann Maliya. Sie ist jetzt neun Monate. „Wunderschön ist das, nur ab und zu anstrengend“, sagt Horne und klopft auf Holz, „aber die letzten Nächte schlief sie durch“. Vielleicht ahnt Maliya ja, dass ihr Papa in genau 54 Tagen seine ganze Konzentration braucht. Für Gold. Was sonst?

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